
Warum mehr, mehr, mehr kein gutes Konzept ist
Der Niedergang des Massentourismus in Kärnten begann erstaunlicherweise zu einer Zeit, als halb Deutschland vor den Fernsehgeräten klebte, wenn Roy Black und Uschi Glas in Velden in amouröse und andere Turbulenzen gerieten. Dank dem TV-Hit „Ein Schloss am Wörthersee“ war die Urlaubsregion Kärnten in aller Munde. Eine bessere Werbung wäre kaum möglich gewesen. Und trotzdem kamen immer weniger Leute.
Das war in den Neunzigerjahren. Flugreisen wurden immer erschwinglicher, Reisebüros warben mit All-inclusive-Paketen für die Türkei, Tunesien oder Ägypten. Man zahlte in Summe weniger als für eine halbwegs ordentliche Herberge mit Frühstück an einem der vielen Seen in der viel beschworenen Badewanne Österreichs. Und dann war da noch die Wettergarantie: zwei Wochen am Mittelmeer ohne eine einzige Wolke. Damit konnte der Tourismus in Kärnten nicht mithalten. Es regnete halt hin und wieder. In manchen Sommern mehr, in anderen weniger. Binnen weniger Jahre brach der Tourismus in Kärnten brutal ein. Immer öfter waren in der heißen Zeit vor den Privatpensionen die kleinen roten Fahnen mit der Aufschrift „Zimmer frei“ zu sehen. Bis sie irgendwann ganz verschwanden, weil die kleinen Herbergen, die ihren Besitzern ein schönes Zubrot verschafft hatten, geschlossen wurden. Es rentierte sich einfach nicht mehr, zu investieren.
Aber der Niedergang der Urlaubsindustrie betraf nicht das ganze Land. In der Gemeinde Weissensee beispielsweise waren damals keine gröberen Einbrüche zu verzeichnen. Heute gehört sie zu den begehrtesten Tourismusgemeinden des Landes. Warum? Eine eindeutige, einfache Erklärung dafür kann auch Bürgermeisterin Karoline Turnschek nicht liefern.
Aber sie hat da ein paar Vermutungen.

Zur Person
Bürgermeisterin Karoline Turnschek hält beim Tourismus die Zügel fest in der Hand.
Bäume wachsen nicht in den Himmel
Etwa, dass man sich in Weissensee mit einem riesigen Gemeindegebiet von 78 Quadratkilometern bei derzeit nur 770 Einwohnerinnen und Einwohnern vielleicht ein bisschen besser um die Gäste gekümmert hat. So entstanden persönliche Kontakte und Freundschaften, die Leute kamen über mehrere Generationen nach Weissensee. Immer noch sind die allermeisten Betriebe familiengeführt: „Wir leben in den Häusern und gehen morgens vom ersten Stock in die Arbeit. Damit hat man einen ganz anderen Bezug.“
Und: Obwohl der Tourismus für die kleine Gemeinde seit mehr als hundert Jahren eine enorm wichtige Einnahmequelle ist, hat man diese nie ganz ausgereizt. „Wir sind geprägt von Landwirtschaft und Tourismus“, sagt Turnschek. Man war in Weissensee stets bestrebt, diese beiden wichtigen Säulen in Einklang zu bringen. Auch deshalb gibt es einen besonders strengen Bebauungsplan. Bettenburgen wie in anderen Gemeinden fehlen – weil es dafür schlicht keine Genehmigung gegeben hätte. „Es gibt einfach natürliche Grenzen“, sagt die Bürgermeisterin. „Das ist wie in einem Kino, wo auch nur eine bestimmte Anzahl an Sitzplätzen zur Verfügung steht.“ Und das, meint sie, sei der einzig richtige Zugang, um die Einnahmequelle Tourismus – von der in Weissensee beinahe jeder oder jede in irgendeiner Art und Weise profitiert – auch in Zukunft zu behalten. Turnschek zitiert gerne ihre Großmutter: „Bäume können nicht in den Himmel wachsen.“ Das, meint sie, gelte im Übrigen nicht nur für den Tourismus. Wachstum um jeden Preis könne nicht ewig funktionieren.
In einem Kino gibt es auch nur eine gewisse Zahl an Sitzplätzen.
Gemeinde hat Zügel in der Hand
Die kleine Tourismusgemeinde Weissensee mit fast einer halben Million Nächtigungen pro Jahr ist aber auch ein gutes Beispiel dafür, wie Tourismus gesteuert werden kann. Indem es nicht mehr als eine vernünftige Zahl an Betten gibt. Aber auch, indem die Besucherinnen und Besucher sanft geleitet werden: mit bestens ausgeschilderten Wegen rund um den See und einem weiten Netz an Wander- und Mountainbikewegen. Die Gemeinde hat sich an Anbieter von Kartendiensten gewandt und diese erfolgreich gebeten, so genannte „Geheimwege“ in der Region zu löschen. Das offizielle Wegenetz ist durchdacht und schlüssig. Ist ein Weg nicht ausgeschildert, dann hat das gute Gründe.
Die Gemeinde hat den Tourismus im Griff. Das liegt auch an einer Grundsatzentscheidung, die vor bald zwei Jahrzehnten getroffen wurde. Damals stimmte die Bevölkerung darüber ab, ob es einen Tourismusverein braucht. Weissensee hat sich dagegen entschieden, die Verantwortung für alle großen Entscheidungen liegt im Gemeindeamt – wo man natürlich trotzdem stets den Austausch mit den anderen Stakeholdern sucht.

Etwa als die weitgehend unberührte Natur rund um den Weissensee während der Zeit der Corona-Lockdowns auf einmal völlig überlaufen war und sich der Abfall häufte. Bald danach brachte Turnschek alle, die dazu etwas zu sagen hatten, an einen Tisch: Landwirte, Jäger, Leute aus dem Tourimuss, Grundbesitzer und Bundesforste. In einem moderierten Prozess wurden gemeinsam Lösungen erarbeitet. So wurde unter anderem das Wegenetz völlig umgekrempelt und neu ausgewiesen.
Seither gibt es kaum noch Probleme. Und das, obwohl es rund um den Weissensee etliche Buchten gibt, wo Leute einfach so ins Wasser springen können. Eine Praxis, die in vielen anderen Gemeinden nicht geduldet und mitunter sogar streng bestraft wird. „99 Prozent der Leute verhalten sich vorbildlich“, sagt die Bürgermeisterin. Dass irgendwo Müll herumliege, sei die absolute Ausnahme.
Ich habe keine Glaskugel, um in die Zukunft zu sehen. Aber wir merken, dass es wärmer wird.
Mit dem Klimawandel umgehen
Dass der Tourismus in Weissensee so erfolgreich ist, liegt aber auch daran, dass es zwei Saisonen gibt. Denn nicht nur im Sommer zieht es viele Leute in die Region. Auch in der kalten Jahreszeit kommen viele zu dem vergleichsweise hoch gelegenen See, auf dem man verlässlich eislaufen kann. Und ganz in der Nähe lockt das Skigebiet Weissensee. Wie lange noch?
„Wenn ich eine Glaskugel hätte, könnte ich das sagen“, meint Turnschek. Noch habe man wenig Sorgen, dass der See bald nicht mehr zufrieren könnte, die Pisten wegen zu hoher Temperaturen nicht mehr zu betreiben wären. „Aber natürlich merken wir, dass es wärmer wird“, sagt sie.
Mit dieser Problematik kämpft man nicht zuletzt auch in anderen Regionen. Auch in den klassischen Wintersportdestinationen beginnt langsam ein Umdenken. Insgesamt rund 7.000 Kilometer Pisten gibt es in Österreich. Immer noch fordern manche Touristiker, das Netz weiter auszubauen. Keine gute Idee, meint Andreas Haid, Bürgermeister von Mittelberg im Kleinwalsertal und Vorsitzender des Tourismusausschusses des Gemeindebundes. „Wir stoßen an unsere Grenze und mit Blick auf die Klimaveränderung sollte die Sicherstellung der bestehenden Skipisten im Vordergrund stehen.“
Waid weiß, wovon er spricht. Er ist Bürgermeister einer Gemeinde, die vom Wintertourismus besonders stark profitiert. Trotzdem – oder gerade deshalb – plädiert er für Mäßigung und den Ausbau neuer Angebote wie Winterwandern, Kultur oder Kulinarik. Auch hier gilt: Dem Wachstum sind Grenzen gesetzt, erst recht, wenn der Schnee langsam wegschmilzt. Damit muss der Tourismus umgehen.
Mit Blick auf den Klimawandel sollte die Erhaltung bestehender Pisten im Vordergrund stehen.
Was, wenn es keinen Schnee mehr gibt
Bloß wie? Die Frage beschäftigt auch die Bürgermeisterin von Weissensee. Turnschek engagiert sich bei Alpine Pearls, einem Zusammenschluss von 18 Gemeinden aus Italien, Österreich, Slowenien und Deutschland, die gemeinsam Konzepte für den Wintertourismus der Zukunft entwickeln. „Beyond Snow“ heißt eines der Kapitel. Was, wenn es einmal keinen Schnee mehr gibt? Dann bleibt am Weissensee wohl hauptsächlich der Sommertourismus, der schon jetzt deutlich wichtiger ist. Denn die kalte Saison dauert inzwischen ohnehin nur noch von Ende Dezember bis Anfang März. Dafür werden die Sommer länger – und die Region mit ihrem vergleichsweise milden Klima wird immer attraktiver. Schon jetzt kommen viele Leute, die bis vor ein paar Jahren in der heißen Zeit nach Italien oder Griechenland gefahren sind. Aber dort wird es mittlerweile so heiß, dass es für viele unerträglich wird. Und in Zukunft ist wohl auch vermehrt mit Gästen aus dem Süden zu rechnen.
Man fährt lieber mit der Bahn
Und noch eine Auswirkung hat der Klimawandel. Erheblich mehr Leute kommen mit dem Zug – auch solche, die zu Hause ein Auto in der Garage stehen haben. „Das ist zweifellos auch auf das Klimaticket zurückzuführen“, sagt Turnschek. Wieder einmal hatte man in Weissensee den richtigen Riecher: Kurz vor dessen Einführung wurde ein Shuttlebus zum 15 Kilometer weit entfernten Bahnhof eingerichtet.